Ich beeile mich, aus dem Büro wegzukommen, um möglichst früh zu den Lageröffnungszeiten das Gemüse unseres Ernteanteils von Familie Mogg zu holen. Das klare Ziel vor Augen, schaffe ich es kurz nach 18:00, mich vom Schreibtisch und den zahllosen liegen gebliebenen Aufgaben loszueisen, zur Straßenbahn zu eilen und die drei Stationen zum Reumannplatz zu fahren. Mir wird bewusst, dass dies dienstags nun ein regelmäßiger Weg sein wird. Ich freue mich, einen guten Grund zu haben, meine Arbeit so früh schon liegen zu lassen und nicht bis in den späten Abend vor dem Computer zu sitzen. Rasch hole ich noch Gebäck vom Ströck für’s Abendessen. Dann gehe ich durch belebte Gassen einige Häuserblocks bis zur Quellenstraße / Ecke Columbusgasse. Die Hauseingangstür lässt sich leicht öffnen. Der erste Hinweis, dass das Lager besetzt ist. Ich bin erleichtert. Hätte ja sein können, dass alle schon wieder weg sind, ich zu spät bin oder mich überhaupt geirrt habe mit den Zeiten.
Nein, alles gut, ich treffe Astrid, die den Lagerdienst macht und nur mehr auf mich wartet. Alle anderen waren schon da. Und dann stehe ich vor einer Kiste voller Gemüse. Zwei Köpfe Zuckerhut schauen heraus. Es duftet. Der Geruch nach Sellerie schiebt sich in den Vordergrund. Ich packe meinen Anteil direkt aus der Musterkiste ein. Rote und gelbe Rüben sind dabei, zwei Maiskolben, 3 Stangen Lauch, 2 Stück Sellerieknollen. Chris kommt auch noch vorbei, wir plaudern zu dritt, Astrid kehrt Boden und Tisch. Gemeinsam schließen wir das Lager und machen uns auf den Heimweg. Das Schnapperl der Eingangstüre wird umgelegt, damit sie wieder verschlossen ist, und das Haus so zurück gelassen, wie es vor unserer Ankunft war.
Heute habe ich also zum ersten Mal unseren Ernteanteil aus dem Lager geholt. Am Heimweg mit dem Bus und zu Fuß zwischen Gärten strahlt der fast volle Mond klar, groß und hellorange. Vollmond – immer wieder ein untrügliches Zeichen, dass die Dinge gut werden, beruhigender Begleiter auf meinen Wegen. Aber auch Zeichen ganz besonderer Momente, wie der heutige einer ist.
Zu Hause angekommen hole ich das frische, intensiv duftende Gemüse aus dem Beutel und weiß, nun ist alles anders. Ich spüre die tiefe Verbindung zu den Menschen, die dieses Gemüse gezogen, gepflegt, geerntet, verpackt und geliefert haben. Fast kann ich die Erde fühlen, aus der das Gemüse kommt. Die Fülle und Vielfalt dieses einen Ernteanteils ist groß. Ich habe unglaubliche Lust, mir daraus sofort etwas zu essen zu machen und stelle auch gleich Wasser für die Maiskolben auf den Herd. Ich schäle die hellgelben Kolben aus ihren Blättern, hoble gelbe und rote Rüben und mache mir zusammen mit dem Zuckerhut einen Salat mit einer Marinade aus Traubenkernöl, Himbeeressig, Senf, Salz und „Gute Laune“-Gewürz. Bin heute alleine zu Hause und genieße es in vollen Zügen, nur für mich dieses besondere Abendessen zu richten.
Jeden Bissen davon kaue ich ganz bewusst. Ich bin voll da. Nur mit Essen beschäftigt und eingehüllt von Barockmusik aus dem Radio.
Nahrung ohne Verpackung direkt aus dem eigenen Lager zu holen, wo es in der Nacht zuvor nur für unsere Mitglieder unmittelbar von der Ernte geliefert wurde, stellt die anonyme, hochtechnisierte Warenwelt eines Supermarkts völlig auf den Kopf. Nicht lauter einheitliche, halbfertige und Großteils künstlich geschaffene Waren von Unmengen an unnötigem Plastik umgeben, sondern Lebensmittel, deren Namen und Verwendungsmöglichkeiten wir teilweise auch erst wieder entdecken müssen. Das ist Genuss pur und direkt.
Es ist ein erhebendes Gefühl, das die Mühen der Gründung unserer Food X vergessen macht. Jedes bisschen Mehraufwand lohnt sich für diesen unmittelbaren Ertrag zu wissen, woher das Essen kommt, das wir uns einverleiben. Dafür schlägt mein Herz und bringe ich die Kraft auf, mich zu dieser späten Stunde doch noch einmal vor den Computer zu setzen. Ja, das ist es, was mich gezogen hat, eine Food Coop mitzugründen: meine unmittelbare, tägliche Lebenswelt wieder mit anderen Augen sehen zu lernen, indem ich wertvollen Lebensmitteln den ihnen gebührenden Platz einräume.